Artikel 24 ist klar, aber für manche nicht klar genug. Deshalb dieser Brief.
Lieber UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen,
mein Land hat die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben. Mein Land hat dem Recht auf inklusive Bildung zugestimmt. Mein Land ist verwirrt. Viele wissen nicht, was mit Artikel 24 wirklich gemeint ist.
Manche sagen: „Nur die da, die mit einer bestimmten Behinderung, dürfen die allgemeine Schule besuchen.“ Andere sagen: „Wir können alles so lassen wie es ist. In der Behindertenrechtskonvention steht ja nichts davon, dass Sonderschulen geschlossen werden müssen.“ Wieder andere wollen die Eltern entscheiden lassen, ob das Kind die Sonderschule oder die allgemeine Schule besucht. Sehr viele meinen: „Inklusion ist schön, aber nicht am Gymnasium“ (Schule nur für Kinder, die von Lehrern gute Noten bekommen haben). Das führt alles dazu, dass wir immer noch kein inklusives Bildungssystem haben.
In meinem Land lieben viele Menschen die Trennung. Sie wollen, dass Kinder mit 10, manchmal mit 12 Jahren nicht mehr gemeinsam lernen. Dann besuchen die Kinder ganz unterschiedliche Schultypen. Wir haben hier ein paar Schubladen mehr als andere Länder. Daher ist die Verwirrung umso größer. Inklusion ist für die, die die Trennung lieben, etwas sehr schlimmes. Sie haben Angst vor Inklusion. Aber dafür ist ja Artikel 8, Bewusstseinsbildung, zuständig. Aber der hängt ja auch wieder mit Schule zusammen, stimmt‘s?
Ich wünsche mir, lieber UN-Fachausschuss, dass die Menschen nicht mehr verwirrt sind, wenn sie über Artikel 24 reden. Wenn Artikel 24 eine Abkehr von der Sonderbeschulung in Sonderschulen bedeutet, wieso wird das nicht deutlich? Ich weiß, deine Leute haben schon viel dazu geschrieben. Wirklich gute Sachen, zum Beispiel die „Thematische Studie des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte über die Förderung des Bewusstseins für das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und seines Verständnisses“. Da steht überall, dass Kinder mit Behinderung ein Inklusionsrecht haben. In meinem Land sieht das so aus: Es gibt immer noch ganz viele Sonderschulen. Diese Sonderschulen werden gefüllt. Es gibt auch schon inklusive Schulen. In manchen Bundesländern gehen schon über die Hälfte aller Kinder mit Behinderungen in die allgemeine Schule (mein Land besteht aus Bundesländern, die entscheiden über die Schulen. Die Bundesregierung mischt sich da nicht ein. Das nennt sich Kooperationsverbot. Das könnte man ändern, aber das betrifft dich nicht). In den meisten Bundesländern besuchen die meisten Kinder mit Behinderungen die Sonderschule.
Wenn die Sonderschulen weiter Sonderschulen sind, fehlen an den inklusiven Schulen die Mittel. Also Sonderpädagogen und so. Und wenn an den inklusiven Schulen die Mittel fehlen, sind die Leute gegen Inklusion. Und wenn die Leute gegen Inklusion sind, können sie gar nicht sehen, wie gut Inklusion klappen kann. Viele wollen die Sonderschulen behalten. Das mit Artikel 8 (Bewusstseinsbildung) funktioniert dann auch wieder nicht so gut. Ich glaube auch, dass viele Angst vor Behinderung haben. Viele wollen auch kein Geld ausgeben.
Aber es gibt auch viele, die Artikel 24 klarstellen. Es gibt viele Studien, die zeigen, dass inklusive Bildung für alle ein Gewinn ist, dass ein inklusives Bildungssystem auf lange Sicht nicht teurer ist, aber das braucht man deinen Leuten ja nicht zu erklären.
Ich habe Artikel 24 gelesen. Da steht: Mein Land soll ein inklusives Schulsystem gewährleisten. Aber wie soll das gehen, wenn die Sonderschulen weiter Sonderschulen sind? Wenn die meisten Kinder mit Behinderungen (in den Schulen heißt das hier auch sonder-pädagogischer Förderbedarf) immer noch nicht die inklusive Schule besuchen? Wenn Leute, die was zu sagen haben, sagen: „Hier ist kein Platz für dich, du bist zu behindert für die allgemeine Schule“?
Lieber UN-Fachausschuss. Es gibt so etwas Schönes wie die General Comments, die Allgemeinen Bemerkungen der UN. Die sind dafür da, um Klartext zu sprechen. Kannst du so was auch für Artikel 24 machen? Es wäre gut, wenn du klipp und klar sagen könntest, was wir mit Artikel 24 anfangen sollen. Ich will nicht nerven, deine Leute haben das ja alles schon gesagt. Auch der UN-Sonderberichterstatter für Bildung und so. Mir ist auch klar, dass es so nicht weiter gehen kann. Inklusion geht anders. Aber es gibt immernoch Missverständnisse. Wenn ihr das sagt, dann hat es auch eine andere Wirkung, als wenn ich das sage. Oder andere.
Danke schon mal und viel Spaß bei der Staatenberichts-Prüfung, bei der Kontrolle der Hausaufgaben. Ich weiß, ihr müsst auch ein bisschen loben, damit mein Land motiviert bleibt. Aber lobt nicht zu viel, wenn es um Artikel 24 geht. Da lieber Klartext sprechen.
Viele Grüße aus Berlin
Lisa von Inklusionsfakten.de
2 Kommentare
Guten Tag,
ich befürchte, dass zwei Punkte, die durch die Behindertenkonvention nicht beeinflusst werden kann, die Inklusion behinderter Kinder an bundesdeutschen Schulen behindern. Beide Aspekte werden im vorliegenden Artikel benannt, zu kurzes gemeinsames Lernen aller Kinder an deutschen Schulen und die Auffassungen der Sonderpädagogik und ihrer Stellung im Bildungssystem der Bundesrepublik. Beide Aspekte sind keineswegs neu. Wie soll ein Schulsystem inklusive sein, das überhaupt nicht oder nur in geringem Maße das Lernen von Kindern mit unterschiedlichen Stärken, Schwächen und Bedürfnissen angelegt ist? Und viele Fachleute für Behindertenpädagogik fühlen sich ausgesprochen wohl in ihrer eigenen Schublade, der Sonderschule. Bezogen auf meine Behinderung habe ich Texte für meine Diplomarbeit gefunden, in denen kritisch angemerkt wurde, dass sich die Blindenpädagogik noch am Ende des 20. Jahrhundert überhaupt nicht um Erkenntnisse aus Bereichen wie allgemeine Lerntheorie etc. kümmern wollte.
Liebe Grüße
Christiane Quenel
Hallo zusammen
Jeder Mensch, ist durch seine einzigartigkeit, ein Teil der Gesellschaft. Lebensnotwendig währe für uns Menschen, immer öffters unsere Schubladen von bestimmten Menschen Gruppe wie Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen, Völker, Lànder, Nationen, Religionen, Berufsgruppen usw.auszureumen, so daß wir gegenseitig Respektvoll mitteinander achtsam umgehen.
Das ist schon seit 7 Jahren ein MENSCHENRECHT, das aber leider vorwiegend meistens nur in der Theorie gelebt wird, in unserer Deutschen Gesellschaft.
Denn wenn es keine Sonderschulen gäbe, währen viele Lehrer zur freien Fertigung in REGELSCHULEN ALS Förderbedarf in den so großen Klassen, sehr, sehr hilfreich. Generell für alle Kinder.