Lieber Ausschuss zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen (kurz: CRPD),
es tut so gut eure “Allgemeinen Bemerkungen” zu Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention zu lesen. Lange musste man darauf warten. Ihr habt euch Zeit gelassen mit euren “Allgemeinen Bemerkungen” (General Comment). Dieses Dokument ist so wichtig, denn diese Allgemeinen Bemerkungen machen deutlich: So ist die autoritativen Auslegungen von Artikel 24, dem Recht auf inklusive Bildung, zu verstehen – entschieden durch euch, lieber Ausschuss. Denn ihr seid das zuständige UN-Vertragsorgan.
Die von euch verfassten “Allgemeinen Bemerkungen” konkretisieren wohin und wie die Reise hin zu einem durch und durch inklusiven Bildungssystem gehen muss. Ihr verdeutlicht damit die Umsetzung der Menschenrechtspflichten für die Vertragsstaaten. Mein Land, Vertragsstaat Deutschland, braucht ganz dringend diese Verdeutlichung. Denn er versteht Artikel 24 bisher nicht richtig. Er denkt, man könne die Förderschulen erhalten. Gerade in den Ländern (mein Land besteht aus 16 Untereinheiten, die für Bildung zuständig sind) wird Inklusion im Bildungssystem entweder ignoriert, mangelhaft ausgestattet oder aber das Märchen von “Förderschulen gehören dazu” wird immer und immer wieder erzählt. Gerade viele Politiker/innen denken tatsächlich, dass die Beibehaltung eines Förderschulsystems der UN-Behindertenrechtskonvention entspräche. Trotz der ganzen Studien, die zeigen, wie schädlich Förderschulen wirken, wird behauptet, die Kinder würden sich dort gut entwickeln (das hat mit unserer jahrzehntelangen Tradition des Aussortierens zu tun und mit Vorurteilen und Ängsten).
Es gibt so gute Gründe für ein inklusives Schulsystem. Denn Förderschulen bewirken, dass die Kinder mit Behinderung weniger lernen, seltener einen Abschluss machen, kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, dafür ein mangelndes Selbstkonzept und Schamgefühle, sie erleben Ausschluss, Trennung von Peers in der Nachbarschaft…usw. (hier gehts zu den Fakten).
Mit den von euch formulierten “Allgemeinen Bemerkungen” können Deutschland und seine Bundesländer nun verstehen, um was es wirklich geht: Um den Aufbau eines wirklich gut ausgestatteten, hochwirksamen inklusiven Bildungssystems und dem klaren Abbau von Förderschulen. Nun kann keiner mehr ernsthaft behaupten, Förderschulen wären Teil des inklusiven Systems oder Förderschulen dürften im Sinne der UN-BRK erhalten bleiben. Sätzen wie “in Artikel 24 steht nicht, dass es keine Förderschulen mehr geben darf” kann man nun entspannt deine Bemerkungen entgegen halten. Denn ihr bringt es auf den Punkt:
Das Aufrechterhalten von zwei Bildungssystemen, einem allgemeinen Bildungssystem und einem Sonderbildungssystem/auf Segregation beruhenden Bildungssystem ist nicht vereinbar mit der UN-Behindertenrechtskonvention.
Dieser Satz ist Balsam für die Inklusion und ihre engagierten Befürworter/innen und gibt Rückenwind. Und zudem verdeutlicht ihr, dass es Ressourcen braucht. Es ist nämlich bei uns so, dass Deutschland (gehört zu den reichsten Ländern dieser Erde) wenig von seinem Bruttoinlandsprodukt (BPI) in Bildung steckt. Die Bildungsausgaben sind also sehr gering und obwohl sie so gering sind, leistet sich Deutschland eine Dopperstruktur (Förderschulen UND inklusive Schulen), die ihr ja unmissverständlich als unvereinbar mit der von Deutschland ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention beschrieben habt. Hört man den Familien, den Kindern (denen wird eigentlich kaum zugehört), den Lehrer/innen und den Verbänden (auch hier gibt es welche, die Artikel 24 nicht verstanden haben) zu, dann erfährt man vor allem eines: “Es fehlt….”
Es fehlt genau das, was laut eurer “Allgemeinen Bemerkungen” nicht feheln darf – nämlich an Ressourcen, die diskriminierungsfreies und gleichberechtigtes Lernen ermöglichen. Es fehlt an Unterstützung, an Supervision für das Personal, an einer Fortbildungsoffensive, an inklusiven Studieninhalten, Barrierefreiheit, größeren Räumen, die inklusive Didaktik ermöglichen und vielem mehr. Dabei ist Deutschland, wie schon erwähnt, kein armes Land. Es ist weder arm, noch für seine Langsamkeit bekannt. Dennoch zieht sich der Prozess schon so lange hin. Seit 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Doch kein Bundesland erfüllt alle im Recht auf inklusive Bildung angelegten Kriterien – so die Monitoring-Stelle beim Deutschen Institut für Menschenrechte in ihrer Studie.
Vielen, herzlichen Dank für eure Worte an den Vertragsstaat. Deutschland als Bundesrepublik und Vertragspartner müsste (bspw. über die KMK oder einer Aufhebung des Kooperationsverbotes) viel mehr die Länder in die Pflicht nehmen (man könnte annehmen, die machen alle, was sie wollen). Der Bund hat die Pflicht Menschenrechte umzusetzen und die Länder müssen dieser Pflicht folgen, was sie teiweise kaum, teilweise zu wenig und teilweise gar nicht tun. Hoffentlich lesen alle Bildungsminister/innen eure “Allgemeinen Bemerkungen“:
“Nach Artikel 4 Absatz 2 müssen die Vertragsstaaten hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit Maßnahmen treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen. Verwirklichung nach und nach bedeutet, dass die Vertragsstaaten eine besondere und kontinuierliche Verpflichtung haben, so zügig und wirksam wie möglich Fortschritte in Richtung der vollen Verwirklichung von Artikel 24 zu machen (Siehe Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Allgemeine Bemerkung Nr. 3 (1990) zum Charakter der Verpflichtungen der Vertragsstaaten Abs. 9).
Dies ist nicht mit der Unterhaltung von zwei Bildungssystemen vereinbar: einem allgemeinen Bildungssystem und einem Sonderbildungssystem/auf Segregation beruhenden Bildungssystem.
Eine schrittweise Verwirklichung besteht entsprechend dem Gesamtziel des Übereinkommens darin, klare Verpflichtungen für die Vertragsstaaten hinsichtlich der vollen Verwirklichung der fraglichen Rechte zu etablieren. Entsprechend werden die Vertragsstaaten bestärkt, die Zuweisung von Haushaltsmitteln, einhergehend mit einer Übertragung von Mitteln zur Entwicklung inklusiver Bildung, neu vorzunehmen” (General Comment zu Art. 24, UN-BRK, BMAS, S. 18).
Übrigens hat der Jurist Herr Prof. Eibe Riedel schon lange vor den “Allgemeinen Bemerkungen” klar gestellt, dass Förderschulen abzubauen sind und schon damals verdeutlicht, um was es bei Artikel 24 geht. Es war eigentlich schon viel früher klar, um was es bei Artikel 24 geht.
„Die getrennte Beschulung im Grundsatz scheidet angesichts der Existenz der BRK als legitimer Zweck aus“ (Riedel-Gutachten, 2010, S.28).
Und auch Prof. Degener, Mitglied im CRPD-Ausschuss und damit bestens informiert, machte 2013 das hier deutlich:
„Theresia Degener formulierte diesen Eindruck in ihrer Frage, welche Auswirkungen die geplanten Modellprojekte zu inklusiver Bildung auf die Zukunft der Sonderschule haben würden, etwa deren Schließung. Sie betonte, dass die BRK einen sehr viel radikaleren Paradigmenwechsel verlange, als offenbar angenommen wird. So wie Artikel 12, 14 und 17 VN-BRK die radikale Abkehr von Stellvertretung, Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung verlange, so fordere Artikel 24 die radikale Abschaffung jeder Form von Segregation im Bildungssystem“(Bericht aus Genf, Nr.6/2013, S.5., siehe Sechster Bericht aus Genf).
Lieber CPRD-Ausschuss, eure Bemerkungen haben hoffentlich so viel Gewicht für die Verantwortlichen, dass sie die Förderschulen endlich als diskriminierend anerkennen und schließen. Danke für eure Zeilen.
Und um in den UNO-Sprachen zu bleiben:
Thank you, merci, šukran, xièxiè, спасибо, gracias.
(Ach ja, und schade Bundesminesterium für Arbeit und Soziales, dass du so lange gebraucht hast, um die paar Seiten vom Englischen ins Deutsche zu übersetzen.
“Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gab daraufhin eine Übersetzung in Auftrag, die eigentlich schon im ersten Quartal 2017 nach fachlicher Abstimmung mit der Monitoringstelle am Deutschen Institut für Menschenrechte für die Veröffentlichung vorgesehen war. Dass sie erst jetzt erscheint, hängt nach Auskunft der Pressestelle des BMAS u.a. damit zusammen, dass auch die Kultusministerkonferenz (KMK) wegen ihres großen Interesses in den Abstimmungsprozess einbezogen wurde” (Brigitte Schumann, Bildungsklick 2017).
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Man könnte meinen, die deutschen Politiker könnten kein Englisch, wenn Sie den General Comment vom 02.09.2016 erst jetzt – vom BMAS übersetzt – zur Kenntnis nehmen. Aber wir können ja schon froh sein, wenn sie es jetzt endlich tun.