Geplant war Inklusion umzusetzen und den defektlogischen Blick gegen eine stärkenorientierte Pädagogik einzutauschen. Nicht die Behinderung steht im Vordergrund, sondern die Vielfalt der Kinder und der Umgang mit Verschiedenheit.
Vielerorts funktioniert das schon ganz gut. Doch flächendeckend kann in Deutschland von einem inklusiven Schulsystem keine Rede sein. Noch immer besuchen viel zu viele Kinder die Sonderschule, die Studien zufolge nicht fördert, sondern wichtige Chancen verbaut (siehe hier). Doch was sollen Familien tun, wenn die Ämter, Direktoren/Direktorinnen, Kommunen oder Einzelpersonen Inklusion verweigern? Was bleibt den Familien, wenn die benachbarte Schule sagt „das geht nicht“? Nicht nur das Kind mit Behinderung, was für die Schulen „zu behindert“ ist wird abgelehnt, einer ganzen Familie werden Kräfte entzogen und Perspektiven genommen. Der Grund dafür: Das deutsche Schulsystem leidet an dem Inklusions-Defizit-Syndrom, kurz IDS.
Könnte man dieses Syndrom ganz einfach heilen, würden sich die Sorgen, Ängste und Ungerechtigkeiten in Luft auflösen. Doch dieses Syndrom gibt es schon sehr lange im deutschen Schulsystem. Lange dachte man, es wäre ein natürlicher Teil des Systems – ein Schulsystem ohne IDS war gar nicht denkbar. In den 70er Jahren entdeckten Eltern und Wissenschaftler/innen dieses Inklusions-Defizit-Syndrom und konnten die Störung benennen und dagegen angehen – leider nur in wenigen Einzelfällen. Denn das IDS sitzt fest und hie und da eine Operation kann die Krankheit nicht heilen. Es wurde viel geforscht und man erkannte die schädlichen Nebenwirkungen des IDS für Menschen mit Behinderungen und die gesamte Gesellschaft. IDS kann als Gefahr der demokratischen Werte wie Gleichberechtigung und Gerechtigkeit gesehen werden. Die verantwortliche Politik sah das anders und tut das größtenteils heute noch. Der Verdacht liegt nahe, dass auch sie schwer an IDS erkrankt ist.
IDS führt dazu, dass Aussonderung mit Fürsorge verwechselt wird. Wissenschaftliche Befunde, die zeigen, dass Kinder an Förderschulen weniger lernen und weniger Chancen auf einen Abschluss und damit auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, werden ignoriert. IDS führt sozusagen zu einer Beeinträchtigung gegenüber Fakten. Zum Glück beschäftigte sich die UNO im letzten Moment mit den Folgeerkrankungen des IDS und ratifizierte die UN-Behindertenrechtskonvention. Viele an IDS erkrankte Politiker/innen stimmten für die Ratifikation 2009 in Deutschland ohne den Inhalt dieser Menschenrechtskonvention zu begreifen, auch daran war das IDS schuld. Es nimmt Einfluss auf einen großen Teil kognitiver Vorgänge.
Die Heilung erscheint einfach und schnell zugleich, doch ist die Mithilfe der Patienten wichtig. Das an IDS erkrankte Schulsystem hat sich in seiner Krankheit eingerichtet und nimmt sie nicht mehr als das wahr, was sie ist: eine dramatische Kombination verschiedenster Symptome: Stigmatisierung, Erniedrigung, Chancenarmut, Ungerechtigkeit usw. Dabei haben diverse Studien nachgewiesen, dass Kinder mit Förderbedarf im inklusiven Unterricht
• mehr lernen
• erfolgreicher sind
• besser abschneiden als vergleichbare Schüler an Förderschulen
• weniger von Stigmatisierung betroffen sind
• durch die lernreiche Umgebung eher in der Lage sind einen Schulabschluss zu erreichen
• ein positiveres Selbstkonzept entwickeln
• bessere Chancen auf dem Arbeitsmark
(siehe auch hier)
Doch die stark ausgeprägte Faktenblindheit führt dazu, dass an IDS-Erkrankte weiterhin an den Erfolg der Förderschule glauben. Nicht nur das, sie glauben auch an den Erfolg des Deutschen Schulsystems, an die Gliederung, an das Schubladendenken, an das Sortieren von Kindern als seien sie geistig genormt. So konnte das IDS leider bis heute nicht besiegt werden und das erkrankte Schulsystem zerstört weiterhin Perspektiven. Nach einem Impfstoff wird intensiv geforscht und man kann optimistisch annehmen, dass Kinder, die jetzt inklusiv beschult werden, kaum oder gar nicht an IDS erkranken werden. Die Lösung liegt in der Inklusion selbst. Nur sie kann IDS bezwingen.
Charakteristisch ist, dass IDS insgesamt zu einer auffällig neurotischen Zwangserkrankung führt: der Sortiererei. Pauschalurteile können schon anhand des Vornamens, der sozialen oder nationalen Herkunft oder eben einer Behinderung getroffen werden. Alles muss sortiert werden, so der Zwangsgedanke von an IDS-erkrankten Personen oder Systemen. Möglichst viele Schubladen erleichtern den IDS-Erkrankten ihrer Obsession nachzugehen, was sich bis zum Wahn steigern kann. So hält das deutsche Schulsystem an seiner Gliederung fest und sortiert Kinder nach schon vier (selten nach sechs) Schuljahren in unterschiedliche Schubladen. Kindern mit Behinderungen wird meistens noch viel früher die Förderschule zugewiesen. IDS führt zu einer großen unbewussten Angst vor Vielfalt, Behinderung und neuen Abläufen. Alles muss genauso sein wie vor 40 Jahren, so denken IDS-Erkrankten und wollen sich Sicherheit verschaffen.
Inklusionsbegeisterte Eltern oder Lehrer/innen werden insofern in Schach gehalten, als dass ihnen einfach die benötigten Mittel zur Umsetzung von Inklusion verweigert werden. Eine Abschaffung des Förderschulsystems, so wie es die UN-Behindertenrechtskonvention verlangt und die UNO fordert, würde zu einer extrem schnellen Genesung führen. Doch die ebenfalls an IDS erkrankte Politik tut alles dafür, damit das nicht geschieht. So können nur sehr vereinzelt IDS-Herde bekämpft werden. Von einer flächendeckenden Heilung sind wir noch weit entfernt. Doch der Hartnäckigkeit des Inklusions-Defizit-Syndroms zum Trotz, sollten die Menschen die Hoffnung nicht verlieren. Vereint und mit Stärke kann das IDS behandelt und ein Neuausbruch verhindert werden.
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