“Inklusion funktioniert vielleicht bei Kindern mit Down-Syndrom oder Kindern im Rollstuhl, jedoch kann nicht jedes Kind mit Behinderung in eine Regelschule gehen”

Falsch, denn: Inklusion meint die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen, unabhängig vom Grad der Behinderung. Auch Kinder mit so genannter schwerer Mehrfachbehinderung können am Gemeinsamen Unterricht teilhaben und profitieren von dem inklusiven Lernumfeld (siehe hier). Inklusion erfordert ein Umdenken. Nicht das Kind muss sich der Schule anpassen, sondern die Schule muss Bedingungen herstellen, die alle Kinder, egal mit welcher Behinderung oder ohne Behinderung, gleichberechtigt an den Angeboten teilhaben lässt. Alle Kinder sollen ihren Fähigkeiten entsprechend gefördert werden. Für das eine Kind ist die erste Subtraktionsaufgabe ein großer Schritt, für ein anderes Kind ist der Umgang mit der Schere ein großer Schritt, für wieder ein anderes Kind ist das Wahrnehmen von unterschiedlichen Schaukelbewegenungen in der Hängematte ein großer Schritt. Dafür braucht es keine gesonderten Schulformen. Inklusive Lernsettings ermöglichen ganz neue Lernerfahrungen, von denen alle profitieren können. Inklusion an sich kann gar nicht scheitern. Doch fehlen die Rahmenbedingungen wie ausreichend Personal, Räume mit viel Platz und zum Wohlfühlen, anregende Lernmaterialien und inklusive Didaktik, dann ist gutes Lernen kaum möglich.

Wer meint, Inklusion “funktioniere” nur bei Kindern mit bestimmten Behinderungen, könnten einen Blick über den Tellerrand wagen. Man mag es nicht glauben, aber auch in Finnland und Kanada gibt es Kinder mit unterschiedlichen Behinderungen und auch diese gehen in die Schule vor Ort, gemeinsam mit Nachbars- und Geschwisterkindern. Auch in Kanada und Finnland (übrigens PISA-Spitzenreiter) gibt es Kinder mit frühkindlichen Autismus und Verhaltensweisen, die auf beiden Seiten Schwierigkeiten bereiten, Kinder im Wachkoma. Die Region New Brunswick in Kanada hat aber eine Selektionsquote von 0,0%. Dort geht kein Kind auf eine Sonderschule.

In Alberta (Kanada) beruht das Schulsystem auf einem umfassenden inklusiven Konzept. Umfassend, weil Inklusion auf viele verschiedene Vielfaltsmerkmale bezogen wird (Behinderung, Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion/Weltanschauung usw.):

Kanada ist folgender Frage bereits vor Jahren nachgegangen: Wenn Inklusion nicht im Klassenraum passiert, wie soll sie dann in der Gesellschaft passieren? Nicht zufällig kommt der Begriff “Inclusion” im Zusammenhang mit Bildung aus diesem Land. Nicht zufällig ist Kanada PISA-Spitzenreiter. Nicht zufällig hat Kanada eine hohe Inklusionsquote. In Edmonton, Hauptstadt der kanadischen Provinz Alberta, spielt sich das inklusive Schulleben folgendermaßen ab:

Inklusive Schwerpunktschulen, die gut für die jeweilige Bedarfsgruppe ausgerichtet sind (überall Teppichboden, Blindenleitsysteme), beschulen blinde oder gehörlose Schülerinnen/Schüler auch in Deutschland bereits erfolgreich im Gemeinsamen Unterricht -vorausgesetzt die Hilfen werden gewährt (Gebärdensprachdolmetscher/innen). Aufgrund der Gehörlosenkultur und den besonderen Bedarfen von blinden Menschen, ist es laut UN-Behindertenrechtskonvention notwendig, dass blinden, gehörlosen oder taubblinden Kindern, Bildung in den Sprachen und Kommunikationsformen und mit den Kommunikationsmitteln, die für den Einzelnen am besten geeignet sind, in einem bestmöglichen Umfeld vermittelt wird (siehe Artikel 24, UN-BRK). Dafür brauchen Regelschulen als Schwerpunktschulen entsprechende Angebote und Fachpersonal. Es gibt gute Beispiele, bei denen alle Kinder in der inklusiven Klasse die Gebärdensprache lernen. Es gibt auch gute Besipiele, die zeigen, dass blinde und sehbehinderte im inklusiven Unterricht sehr gut beschult werden.

Inklusion kann und darf nicht vom Grad der Behinderung abhängig gemacht werden, das wäre sonst keine Inklusion mehr. Denn Inklusion meint ausnahmslos alle.

Inklusion meint alle ©Inklusionsfakten

Wer sagt “unsere Einrichtung ist inklusiv”, Menschen mit großen Unterstützungsbedarfen aber kategorisch ausschließt, der hat nicht verstanden um was es bei der Inklusion geht. Inklusion erfordert ein Umdenken in all unseren Routinen. Wie gehen wir damit um, wenn ein Kind mit Autismus 30 mal den Lichtschalter betätigen will? Was brauchen Kinder mit so genannter “Schwerstmehrfachbehinderung” für basale Lernmaterialien? Wie gehen wir damit um, dass ein Kind sich selbst oder andere verletzt? Welche Botschaft steckt hinter dem Verhalten? Wie müssen wir Schule gestalten, dass hier jedes, ausnahmslos jedes Kind, willkommen ist – weil es in unsere Gemeinde, in unserem Kiez, in unserer Nachbarschaft wohnt.

Integration ist unteilbar.
Damit ist gemeint, dass sie für alle gilt. Man kann nicht die
Gemeinsamkeit der jungen Menschen in der allgemeinen Schule anstreben, aber einen Teil davon ausschließen“ (Jakob Muth, 1986)

Jakob Muth ©Inklusionsfakten

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