Ja, es gibt sie: die Lehrer und Lehrerinnen, die Inklusion täglich “praktizieren”. Und zwar nicht weil sie wollen, sondern weil sie müssen. Sie sind absolut nicht von der Inklusion überzeugt und kritisieren nicht nur die mangelnden Ressourcen, sondern vor allem die Idee an sich. Nach dem Motto “das kann ja nur schief gehen, wenn unterschiedlich ‘begabte’ Kinder gemeinsam lernen” fühlen sie sich von den Umständen bestätigt. Denn es fehlt an so vielen: zusätzlichen Pädagoginnen/Pädagogen, Material, Räumen usw….doch auch wenn all das da wäre, finden sie immernoch: “Kinder mit Behinderungen gehören auf eine Förderschule“. Sie kritisieren die Idee an sich. Sie meckern viel. Ja, es mangelt an Ressourcen. Aber es mangelt auch an Liebe zur Inklusion. Die Inklusion selbst kann nichts dafür, dass die Schulpolitik sie im Stich lässt.
Manche Lehrerinnen/Lehrer sagen – nicht hinter vorgehaltener Hand- sondern ganz offen: “Schüler X oder Schülerin Y gehört auf die Förderschule und hat in meiner Klasse nix zu suchen. Schade, dass die Überweisung zur Sonderschule nicht mehr geht.” Was diese Lehrerin oder dieser Lehrer nicht versteht ist, dass Selektion im Schulsystem nichts zu suchen hat, dass die UN-Behindertenrechtskonvention das Recht auf inklusive Bildung stützt und die Trennung von Menschen nach bestimmten Merkmalen zu trennden Denkvorgängen führt. Und das hat dann nichts mehr mit Liebe zur Inklusion zu tun, auch nicht mit Liebe zur Demokratie und Gleichberechtigung, wahrscheinlich noch nicht einmal mit Liebe.
Und es gibt sie auch: die Lehrerin und der Lehrer, die Inklusion tagtäglich praktizieren – mit Liebe. Nicht weil sie müssen, sondern weil sie wollen, weil sie von der Idee überzeugt sind. Sie setzen Inklusion engagiert und motiviert um. Auch sie kritisieren die mangelnden Ressourcen. Doch sie sind wie Pfadfinder/innen. Sie sind einfallsreich, ebnen eine Struktur im Chaos, sie sind Suchende und Findende, sie sind vielleicht auch ein bisschen abenteuerlustig. Sie wissen: “An dem Mangel können wir gerade nichts ändern. Das liegt nicht in unserem direkten Einflussbereich. Wir können versuchen uns zu wehren, auf uns aufmerksam zu machen und lautstark zu protestieren, wenn es zu Schuljahresbeginn heisst: eine Klasse, 34 Kinder, davon 5 mit Förderbedarf in einem Klassenraum, in dem Stühle und Tische fehlen.”
Sie sind Pfadfinder/innen, weil sie es trotzdem versuchen, weil sie sich, gemeinsam mit der Leitung etwas einfallen lassen. Ja, das ist nur eine Notlösung und kein Dauerzustand, aber sie tun etwas: aus Liebe und Überzeugung zur Inklusion. Und sie rennen zum Schulrat/zur Schulrätin und sagen: “Das geht so nicht mehr.” Auch aus Liebe und Überzeugung zur Inklusion.
Und sie setzen Inklusion um. Sie heissen alle Kinder willkommen, egal wie “schwer behindert”. Weil sie für ein Zusammenleben sind, in dem Vielfalt zum Normalfall wird. Weil Inklusion zu mehr Empathie, Rücksichtnahme, Toleranz und Gleichberechtigung führt. Weil es ohne inklusive Schulen keine inklusive Gesellschaft geben wird. Sie versuchen zu improvisieren, weil es eben gerade nicht anders geht. Das soll nicht heißen, dass der Mangel an Ressourcen gerechtfertigt ist. Er muss beseitigt werden – er hätte gar nicht erst entstehen dürfen. Das zu ändern ist Aufgabe von Politik.
Der Politik fehlt die Liebe zur Inklusion. Da ist nicht viel. Es wird zwar davon gesprochen, aber leider pfeifen immernoch zu viele engagierte Schulen, Lehrerinnen und Lehrer, die Inklusion lieben, aus dem letzten Loch. Sie tun ihr Bestes. Sie heißen alle Kinder willkommen. Sie sind gegen Ausschluss und Diskriminierung. Sie sagen sich: jedes Kind darf in meiner Klasse sein. Warum? Weil es ein Kind ist und ein Kind ist ein Kind. Sie setzen Inklusion um – mit Liebe.
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