Trennende Systeme schaffen trennende Vorstellungen

Inklusive Bildung als Fundament für Demokratie und Menschenrechte. Auch fast zehn Jahre nachdem die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft trat, kann von einem inklusiven Schulsystem nicht die Rede sein. Zwar weisen einige Bundesländer hohe Inklusionsquoten auf (Berlin, Bremen), die Exklusionsquote ist insgesamt jedoch nicht gesunken. Das heißt, die Anzahl der Kinder, die Förderschulen besuchen, nimmt nicht ab. Im Gemeinsamen Unterricht wird mehr Kindern ein sonderpädagogischer Förderbedarf attestiert, gerade in den soften Bereichen Sprache, Lernen und emotional-soziale Entwicklung. Diese Entwicklung zeigt nicht nur das bekannte Etikettierungs-Ressourcen- Dilemma, sie zeigt auch, dass inklusive Bildung als ganzheitlicher Ansatz im Sinne unserer demokratischen Werte nicht flächendeckend erkannt und umgesetzt wird.

Inklusion ist mehr als ein „Dazuholen“ von Kindern mit Behinderung. Inklusion und Antidiskriminierung gehören auf eine Seite der Medaille. Inklusive Bildung vertritt einen antidiskriminierenden Ansatz. Sie stellt sich gegen alle Formen von Demütigung, Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit. Kein Kind darf aufgrund seiner Herkunft, seiner Familie, seines Glaubens/seiner Weltanschauung, seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten, seiner sexuellen Orientierung von der allgemeinen Schule ausgeschlossen werden. Inklusion vertritt die Idee einer Schule für alle Kinder. Doch gerade Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf müssen aufgrund der Doppelstruktur (die übrigens nicht im Sinne von Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention ist) massive Benachteiligungen hinnehmen. Und auch nichtbehinderte Kinder entwickeln eher Vorurteile und Ablehnung, wenn sie nicht von klein auf, im Schulalltag, Kontakt mit Menschen haben, die sich von ihnen unterscheiden.

Nach wie vor werden Kinder benachteiligter Gruppen marginalisiert und auf Förderschulen institutionalisiert. Überproportional viele Kinder aus kinderreichen Familien, aus Familien, die Harz IV beziehen, aus Familien mit Roma-Hintergrund, aus Familien nicht deutscher Herkunft besuchen die Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Diese Kinder haben so weniger Bildungschancen und Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, wie Studien mehrfach eindrücklich veranschaulichen. Doch nach wie vor wird in Medien und auch unter Fachleuten die Illusion genährt, Kinder mit Behinderungen würden sich auf Förderschulen besser entwickeln. Auf der Internetseite www.inklusionsfakten.de werden Mythen und Vorurteile gegenüber inklusiver Bildung durch Fakten ersetzt. Ziel ist es, die Idee der inklusiven Bildung zu verbreiten und Vorurteile zu entkräften. Inklusive Bildung und inklusive Pädagogik sind eine große Chance für eine demokratische und menschliche Gesellschaft. Nur durch inklusive Bildung kann letztendlich auch eine inklusive Gesellschaft entstehen: Eine Gesellschaft, in der allen Menschen Gehör verschafft wird, in der sich alle Menschen gleichberechtigt einbringen können, in der Strategien zur Antidiskriminierung fest implementiert sind und Ausgrenzung (egal aufgrund welches Merkmals) aktiv etwas entgegen gesetzt wird.

Welche Botschaft vermitteln wir Schülerinnen und Schülern, wenn ein Mitschüler/eine Mitschülerin, der/die den scheinbaren Ansprüchen der Mehrheitsgesellschaft nicht genügt, auf eine Förderschule geschickt wird? Dieser Bindungsabbruch und die Herausnahme aus der Peergruppe ist nicht nur für das Kind selbst dramatisch, dieser Vorgang ist auch schädlich für unsere Gesellschaft.

Wir brauchen Schulen, in der alle Kinder -unabhängige ihrer Merkmale- willkommen sind. Wir brauchen Schulen (und auch Orte nonformaler Bildung), die den Umgang mit Verschiedenheit zeigen. Wir brauchen Schulen, die das Recht auf inklusive Bildung aller Kinder als inklusiven Entwicklungsprozess für eine diskriminierungsfreie und vorurteilsbewusste Pädagogik verstehen. Ziel inklusiver Pädagogik ist es die Zwei-Gruppen-Theorie (bspw. behindert-nichtbehindert) aufzulösen und Verschiedenheit in all ihren Facetten wahrzunehmen..

1966 sagte Theodor Adorno: „Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“ Inklusive Bildung ist mit ihrem menschenrechtlichen Ansatz das zurzeit beste Mittel, um Diskriminierung und Ausschluss konkret etwas entgegen zu setzen. In inklusiven Schulen fällt auf, wenn Kinder aufgrund eines Merkmals gemobbt oder ausgegrenzt werden. Es würde auch auffallen, wenn Kinder bestimmter Gruppen auf einmal nicht mehr da sind. Alle Kinder lernen: Jedes Kind darf diese Schule besuchen, weil es in unsere Gemeinschaft lebt. Jedes Kind bleibt Schüler/in dieser Schule, auch wenn es sich anders verhält, sieht, läuft, spricht usw. Dafür müssen Bedingungen geschaffen werden. Das A und O ist jedoch eine inklusive Haltung. Und die entsteht eben gerade durch inklusive Bildung.

Der Blog Inklusionsfakten möchte sich einbringen und genau dort den Finger in die Wunde(n) des Schulsystems legen, wo Rechte von Kindern mit und ohne Behinderungen nicht umgesetzt werden. Dabei gilt es Unterschiede wahrzunehmen, Ungerechtigkeiten gehören jedoch abgebaut.

Als lebendes Beispiel gelungener Inklusion können so viele (ehemalige) Schüler/innen, Lehrer/innen und Eltern  im Feuer der hitzigen Inklusionsdebatten, in den Zeugenstand geholt werden. Leider dominieren in den Debatten die negativen Beispiele und Inklusion wird als Märchen, Falle oder Illusion bezeichnet. Wird Inklusion nur halbherzig umgesetzt und fehlt es an Ressourcen (da viele an Förderschulen gebunden sind), ist der Unmut groß. Doch da wo es klappt, meckert kaum jemand. Das zeigt: Inklusion funktioniert. Inklusion ist kein Märchen, sondern für viele ein unentbehrlicher Alltag.

Bitte um den ersten Kommentar.

Mitdiskutieren

Sie können dieseHTML Schlagworte und Eigenschaften verwenden: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>