„Alle sind Willkommen“, „Verschiedenheit ist normal“ oder eben „Wir leben Vielfalt“ sind bekannte Leitsätze von Schulen, die Schulen für alle sein möchten. Als „bunt“, „inklusiv“ und „heterogen“ wird das Schulleben beschrieben. „Jedes Kind ist in seiner Individualität willkommen“ heißt es im Schulprofil. So oder so ähnlich sieht die Selbstbeschreibung vieler Schulen aus. Doch was steckt dahinter? Ist es wirklich so? Gilt das für alle Kinder und alle Klassen?
Neulich erzählte mir eine Mutter, dass sie ihren Sohn von der Grundschule genommen hat. Es ist eine von diesen tollen, inklusiven Schulen eine, die Preise gewonnen hat, eine, mit einem sehr guten Ruf, eine, bei der man froh ist, einen Platz zu ergattern. Kinder mit Behinderungen, unterschiedlicher Herkunft, Kinder aus Regenbogenfamilien – sie alle besuchen diese Schule. Der Sohn wünschte sich blondierte Haare. Die Mutter erfüllte ihrem Sohn diesen Wunsch. Gleich mehrere Lehrerinnen und Lehrer sollen sich im Laufe der nächsten Woche über die blondierten Haare lustig gemacht haben. Er wurde immer wieder von den Erwachsenen aufgezogen. Die Gespräche zwischen Mutter und Lehrerinnen/Lehrern brachten nichts. Schließlich sagte der Sohn, er könne nicht mehr in diese Schule gehen. Er war tief verzweifelt und fühlte sich verletzt, abgelehnt und hilflos. So, wie sich die meisten eben fühlen, wenn sie erfahren aufgrund des Aussehend nicht akzeptiert zu werden.
Was ist schief gelaufen und was ist aus dem Schulmotto „Alle sind willkommen“ geworden? Leider werden solche Aussagen in Schulprofilen oft ohne die beteiligten Lehrerinnen/Lehrer gemacht – und zum Lehrerkollegium gehört eine Vielzahl von ganz verschiedenen Menschen, mit unterschiedlichen Haltungen, Erfahrungen, Hintergründen. Bevor Schulen sich Leitmotive wie „Wir sind bunt und finden das gut so“ geben, sollten alle, wirklich alle, miteinbezogen werden und besprechen, was mit dieser Aussage gemeint ist. Die Erziehungsvorstellungen und Haltungen aller müssen transparent gemacht werden. Dazu gehört eine nicht zu knapp gehaltene Fortbildung, in der selbstreflexive Fragen Raum haben. Im besten Fall findet solch eine Auseinandersetzung bereits im Studium statt. Durch praktische Übungen können erst einmal die Vorstellungen und Einstellungen einzelner ergründet und reflektiert werden: Wie stehe ich zu bestimmten Vielfaltsmerkmalen? Was weiß ich eigentlich über die Ich-Identität und die Bezugsgruppenidentität meiner Schülerinnen/Schüler? Welche Normen und Wertvorstellungen habe ich verinnerlicht? Wie reagiere ich auf Ungerechtigkeiten und wie hat es sich bei mir als Kind angefühlt, Unrecht erlebt zu haben? Wie sicher fühle ich mich, wenn ich Ausgrenzung beobachte und was passiert, wenn ich nicht eingreife?
Schule ist nicht nur ein Ort zum Schreiben- und Lesenlernen, das ist bekannt. Schule ist ein Ort, an dem der Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt erlernt werden kann. Und das bedeutet auch einen Umgang mit Diskriminierungen, Vorurteilen, Inklusion und Differenzen. Dafür brauchen wir Erwachsene, die Ungerechtigkeiten erkennen und darauf reagieren. Sie müssen Schutz vor Ausgrenzung geben. Das ist ihre Aufgabe. Die Identität aller Kinder muss gestärkt werden, nicht nur die von weißen, nichtbehinderten Kindern aus heterosexuellen Kleinfamilien. Nicht nur die Identität von Kindern, deren Haare nicht blondiert sind. Wenn Lehrpersonen selber diskriminieren und Kinderseelen nachhaltig schädigen, läuft etwas schief – und zwar nicht nur im Klassenzimmer, sondern an der gesamten Schule.
Teamtage, Supervision, ein regelmäßiger Austausch sollten ebenso zum Schulleben gehören wie ein offener Umgang mit Kritik. Wenn ich ausgrenzendes Verhalten bei meinen Kollegen beobachte, muss ich darauf reagieren und auch ein Handwerkszeug besitzen, wie ich das am besten anspreche. Klassentür zu und keine/r sieht oder merkt, was drinnen passiert, ist eine schlechte Herangehensweise.
Auch Lehrerinnen und Lehrer sowie weitere Schulpersonen sind unterschiedlich und haben unterschiedliche Identitätsanteile. Auch sie brauchen in ihrer Verschiedenheit Anerkennung und Akzeptanz. Ein Kollegium, in dem gemobbt oder gelästert oder ausgegrenzt wird, wird die oben genannten Leitsätze kaum umsetzen können. Von daher bezieht sich ein vorurteilssensibler, gewaltfreier und differenzbewusster Umgang immer auf die gesamte Schule, mit all ihren Angehörigen.
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